Donnerstag, 17. Oktober 2019

Der Anspruch


Meine Mutter* war eine wirklich nette, beliebte, ruhige und zurückhaltende Frau mit vielen kreativen Talenten, zu denen auch das Zeichnen gehörte.
Als sie in den Siebzigern mit ihrer Familie nach Deutschland kam, war es die Schweinchen Dick Show, die sie sich damals unheimlich gerne anschaute.

Da sich meine Mutter 1988 nicht vorstellen konnte, dass mir Schweinchen Dick gefallen könnte, hatte sie anstatt eines Schweinchens ein rosa Kaninchen in mein Poesie Album hineingezeichnet.

Der Anspruch, den meine Mutter bei allem und besonders bei kreativen Tätigkeiten hatte, half ihr bei dem, was sie machte, so gut zu werden. Dieser Anspruch erwies sich aber für uns Kinder beim Versuch uns in ihrer Gegenwart kreativ auszuprobieren und unsere eigenen Erfahrungen zu machen als hemmend und entmutigend.

Zwar kam ich immer wieder auf meine Mutter zu, wenn ich in kreativen Angelegenheiten nicht weiter wußte, doch gelang es mir nicht zu verstehen, was sie mir zu zeigen und zu erklären versuchte, so dass wir beide stets unbefriedigt auseinandergingen.

Leider war und ist mein Vater extrem ungeduldig, neigte aufgrund seiner Überforderung mit sich selbst immer wieder zu Schuldzuweisungen und besonders damals zu cholerischen Ausbrüchen. Sowohl mein Bruder als auch ich wollten als Kind daher nie mit ihm zusammenarbeiten und verzichteten dafür gerne auf eine Erfahrungsvermittlung.

Um so mehr bedaure ich, dass ein rein positiver kreativer Austausch zwischen mir und meiner Mutter nicht so stattgefunden hat, wie ich es mir gewünscht hätte....



*  geb. 1961 in Stuhm (Ost Preußen) 
+ gest. 2019 aufgrund einer Ende 2016 festgestellten Krebserkrankung